6. Juni 2016

Frau G. und die Hosenscheisser in Locarno

Neulich in Locarno: Wir sassen verträumt auf dem Bahnsteig und ich macht ein Foto vom Bahnwagen gegenüber.
Kurz später standen plötzlich drei halbstarke Jungs vor mir und verlangten, dass ich das Foto löschen müsse. Datenschutz und so. Ich zuckte mit den Schultern und sagte ganz freundlich: «Nö». Daraufhin fingen die drei zu schimpfen und drohen an. Ich sagte – öööhm ‒ nichts.
Aber Frau G. stand auf und richtet einige klärende Worte an die drei Jungs. Worauf diese fuchsteufelswild wurden und ihre Gesichter rot anschwollen.
«Kommen Sie doch her, wenn Sie Eier haben!» grölte einer zu Frau G.
Dieses Gesprächsangebot wollte Frau G. nicht ausschlagen und stellte sich eine Handbreit vor einen der Schlacks. Sie klärte den Hohlkopf über die anatomische Eigenheiten des Frauenkörpers auf; und ging dabei stetig vorwärts. Frau G. sprach leise, ich konnte dennoch Ausdrücke wie «hirnloses Dubel», «Weichschnäbeler» und «elende Hosenseicher» hören ‒ und auch ein paar unfeine Kraftausdrücke.

Die drei Pubertanten flüchteten sich daraufhin in ihren Bahnwagen. Durch die Doppelverglasung hindurch hörte man ihr Gemotze bloss noch als Gemurmel. Dann fuhr ihr Zug los und Frau G. winkte ihnen liebevoll hinterher.

Zu wissen, dass man der Jugend etwas Unvergessliches vermittelt hat, ist einfach ein schönes Gefühl.

4. Juni 2016

das Muger-Interview

Neulich hat mich der Weltenbummler Chris um ein Interviewgebeten: Über den Iran und unsere Reise dahin. Hier könnt ihr es lesen: Globesurfer.de

Und auch sonst gibt es bei seinem Weltreiseblog viel Interessantes und Spannendes zu entdecken. Viel Spass.
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3. Juni 2016

Centovalli: wildes Domodossola

Heute ist in Domodossola Markt und trübes Wetter. Wir schlendern durch die Gassen der Innenstadt und schauen die Marktstände an. Es sind unzählige, doch fast alle halten bloss Kleider, Schuhe oder Spielsachen feil. Nur einige wenige Händler haben pralle Würste und würzigen Bergkäse im Angebot. Oder feuerrote Kirschen.

Lange sitzen wir in einem Strassencafé und schauen dem Treiben zu. Es sind auffallend viele Walliser da. Wir erkennen sie nicht nur an ihrem Dialekt, sondern auch daran, dass sie grosse Rollkoffer für die Einkäufe hinter sich her ziehen.

Gegen Mittag beginnt es zu nieseln und wir ziehen weiter. Zuerst wieder den Berg hinauf bis Santa Maria Maggiore im Valle Vigezzo und von da weiter ins Valle Cannobina. Die Schluchten-Landschaft ist sagenhaft; und die Strasse eng, kurvig und steil. An den engsten Stellen passen wir grad so knapp durch.
Wer hier wohnt, wohnt vielleicht nicht am Arsch der Welt. Aber ist ganz nah dran.

Unterwegs fragt uns eine Autofahrerin, ob dies hier die Strasse nach „Bern“ sei? Öööhm – ja. Irgendwie und irgendwann führt jede Strasse nach Bern. Oder nach Paris oder Berlin, oder Giswil.
Uns führt sie aber in die andere Richtung, nach Cannobio am Lago Maggiore. Hier scheint sogar etwas die Sonne und wir fahren dem See entlang nach Brisago.

Auf dem Heimweg schauen wir noch zwei mittelalterliche Kirchenruinen und ein paar andere Sachen an. Dann beginnt es zu regnen und wir fahren endgültig heim.

Es war schön in den Hundert Tälern.

2. Juni 2016

Centovalli-Bahn

Die Centovalli-Bahn verbindet seit hundert Jahren Domodossola und Locarno, also die Gotthard- mit der Simplonbahn. Sie wird von der schweizerischen FART und der italienischen SSIF gemeinsam betrieben. Und obwohl die Schmalspurstrecke bloss 51 Kilometer lang ist, dauert die Fahrt fast zwei Stunden.

Unser Zug startet im U-Bahn-Bahnhof unter den Geleisen des grossen Bahnhofs Domodossola. Wir fahren heute mit dem „Panorama-Express“ der SSIF, einem eckigen Zug mit einer äusserst fragwürdigen Ästhetik.
Die Bahnlinie kurvt zuerst steil den Hang hinauf und dann weiter ansteigend durch das Hochtal Valle Vigezzo. Weiden und Wälder und ab und zu ein kleines Dorf. Der Bahnhof Santa Maria Maggiore ist mit 830 Meter über Meer der höchste der Strecke. Hier stehen einige Züge herum. Auf einem Schienenstück mitten im Rasen sogar ein uralter Triebwagen aus den Anfangszeiten.

Die Geleise winden sich den Felsen entlang. Unzählige Brücken und Tunnels sorgen für einen halbwegs graden Streckeverlauf, so dass der Zug manchmal fast 35 km/h schnell fahren tut.

Auf der Strecke gibt es jede Menge Bahnhöfe und Haltestellen. Oft stehen sie mitten im Wald, bloss ein kleines Bahnhof-Häuschen an den Schienen; das dazugehörige Dorf ist höher oben und nicht zu sehen.
Dafür überqueren wir auf schwindelerregend hohen Brücken mehrmals das Tal. Manche unserer Mitreisenden getrauen sich kaum noch aus dem Fenster zu schauen und krallen ihre Finger ins Sitzpolster.

In Locarno endet die Fahrt so, wie sie in Domodossola begann – im Untergrund unter den Geleisen.
Wir sind heute nicht nur wegen lustig nach Locarno gefahren. Nein, Frau G. hat gestern in einem Schaufenster sooo tolle „Sommerschuhe“ gesehen und will sie heute unbedingt anprobieren. Als sie sie dann anhat, sehen sie aus wie Hufe.

Später fahren wir wieder mit der Centovalli-Bahn zurück und nächtigen neben dem Bahnhof Domodossola. Morgen ist Markttag und wir wollen früh da sein.

1. Juni 2016

Centovalli: das Tal der Kaminfeger

Strahlendblauer Himmel über Verscio. Wobei hier im Centovalli der Himmel bloss ein blauer Streifen zwischen den bewaldeten Steilhängen ist. Wir brummen genüsslich dem engen Tal entlang. Die Strasse ist schmal und kurvig; manchmal auch steil. Links geht es manchmal fast senkrecht in die Schlucht hinunter.

Die kleinen Dörfer kleben am Steilhang und die Strasse würgt sich zwischen den Häusern hindurch. Ab und zu sehen wir die Bahnlinie der Centovallibahn. Mich begeistern die kühnen Brücken, die himmelhoch die Schlucht überqueren.

Das erste richtige Dorf nach der Schweizergrenze heisst „Re“ und ist bloss eine Handvoll Häuser und eine Kirche. Aber eine was für welche? Ein richtiger Kirchenpalast aus einheimischem Gneis und mit Kuppeln wie eine türkische Moschee.

Die Basilika von Re, „Santuario Della Madonna Del Sangue“, ist ein weitherum beliebter Wallfahrtsort und ist der „heiligen blutenden Maria“ gewidmet. Sie gilt als ganz besonders wundertätig und hilft vor allem bei Geburten. Im Inneren hängen Hunderte von Geburtsandenken die Wände.
Ganz besonders schön sind die modernen Glasfenster. Jetzt in der Morgensonne werfen sie bunte Flecken auf das Mauerwerk und die baumdicken Granitsäulen.

Nach Re geht das Centovalli nahtlos in das Valle Vigezzo über. Im Dorfzentrum von Santa Maria Maggiore stehen einige prächtig bemalte Häuser. Und ich vergesse sie zu fotografieren! Und hier steht auch das Kaminfeger-Museum, das die traurige Geschichte der Spazzacamino, der Kaminfeger-Buben, erzählt. Aber das ist eine andere Geschichte …

Das Wetter verschlechtert sich rasant. Als wir Domodossola erreichen ist es trübgrau und es sieht nach Regen aus. Wir lassen uns ganz in der Nähe des Bahnhofes häuslich nieder..